|
Autoren
Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389): Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher |
von Dr. Utz Brömmekamp und Oliver Oechsle
Herkömmliche Sanierungskonzepte können in der New Economy nur selten zum Einsatz kommen, da den Gründungsgesellschaftern die Einbringung von weiterem Eigenkapital meistens nicht möglich ist, Banken unter Hinweis auf die besonderen Risiken der New Economy eine weitere Liquiditätsgewährung ablehnen und Gläubigerverzichte oder Rangrücktritte wegen des geringen Fremdkapitalanteils ebenfalls in den meisten Fällen ausscheiden.
Aussichtsreicher erscheint daher eine Sanierung über einen strategischen Investor. Dieser kann beispielsweise ein Venture Capital-Geber, aber auch ein Wettbewerber sein. Besondere Attraktivität für den potentiellen Investor bieten dabei die werthaltigen, immateriellen Vermögensgegenstände und die stillen, nicht aktivierungsfähigen Reserven des Unternehmens - beispielsweise die Domainnamen und Markenrechte, der Kundenstamm und das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter.
Scheitert eine solche außergerichtliche Sanierung, hält die Insolvenzordnung weitere, durchaus erwägenswerte Alternativen bereit. Aufgrund des neu eingeführten Insolvenztatbestands der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ kann bereits im Vorfeld einer Insolvenz mittels eines sogenannten „Prepacked Plan“ über die Gestaltung des späteren Insolvenzverfahrens entschieden werden. Hierdurch ist es dem Schuldner einerseits möglich, sich die Zustimmung seiner Gläubiger bereits im vorhinein zu sichern und andererseits mit dem Insolvenzantrag auch eine Sanierungs- und Fortführungslösung zu präsentieren.
Die juristischen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bewältigung von Unternehmenskrisen sind vielfältig und facettenreich. Dieses gilt insbesondere in der New Economy, denn die Unternehmen der Neuen Wirtschaft unterscheiden sich zum Teil deutlich von den Firmen in traditionellen Branchen. In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht können drei wesentliche Unterschiede festgestellt werden:
Auch die Bilanzstruktur von Unternehmen der Neuen Wirtschaft unterscheidet sich deutlich von der in traditionellen Branchen.
Für die Einleitung von Sanierungsmaßnahmen ist es von nicht unwesentlicher Bedeutung, nach welchen Bilanzierungsregeln die Jahresabschlüsse des Unternehmens aufgestellt werden:
Von den Vorschriften der US-GAAP sind zwar primär Konzernabschlüsse betroffen. Dennoch gibt es im Zuge der zunehmenden Globalisierung der Märkte Bestrebungen, die US-amerikanischen Bilanzierungsgrundsätze auch auf die Einzelabschlüsse deutscher Unternehmen anzuwenden.
Während das deutsche Bilanzrecht dem „Vorsichtsprinzip“ unterliegt, sind US-amerikanische Jahresabschlüsse vor allem dem „Shareholder-Value“ verpflichtet. Die Bewertungsvorschriften und Aktivierungsansätze beider Bilanzierungsregeln unterscheiden sich daher zum Teil deutlich voneinander. So führen die US-GAAP im allgemeinen zu einem höherem Eigenkapital, geringeren stillen Reserven und einem höheren Gewinnausweis. Abschreibungen werden entsprechend der tatsächlichen Nutzungsdauer auf längere Zeiträume erstreckt. Im Anlage- und Umlaufvermögen muß der realistische, meist höhere Zeitwert angesetzt werden. Die Bildung von Rückstellungen ist stark eingeschränkt und für Eventualverbindlichkeiten im Regelfall ausgeschlossen. Insgesamt zeichnen die US-amerikanischen Bilanzen damit ein realistischeres Bild des tatsächlich erzielten operativen Jahresgewinns.
Große Relevanz besitzen diese Unterschiede insbesondere bei der Aktivierung des Firmenwerts (Goodwill). Ein solcher entsteht im Rahmen einer Akquisition, wenn der gezahlte Kaufpreis das bilanzielle Eigenkapital des übernommenen Unternehmens übersteigt. Bisher war der derivative Firmenwert bei den immateriellen Vermögenswerten zu aktivieren und nach bisher einhelliger Meinung als Vermögensgegenstand mit begrenzter Nutzungsdauer planmäßig und gewinnmindernd abzuschreiben. Die US-amerikanische Regulierungsbehörde für Rechnungslegungsfragen (FASB) hat jedoch jüngst eine spektakuläre Abkehr von diesen Grundsätzen vollzogen. Danach müssen die Unternehmen den Firmenwert künftig so lange unverändert aktivieren, bis eine Werthaltigkeitsprüfung von öffentlicher Seite einen Wertverlust erkennen läßt. Außerdem sollen planmäßige Abschreibungen nur noch in Ausnahmefällen durch außerplanmäßige ersetzt werden.
Für eine Reihe von New Economy-Unternehmen sind diese Änderungen von fundamentaler Bedeutung. Durch Börsengänge und nachfolgende Kapitalerhöhungen verfügten diese Unternehmen lange Zeit über genügend liquide Mittel für eine Politik des „Wachstums durch Zukauf“. Erweisen sich diese Akquisitionen im nachhinein als Fehlinvestition, so müssen die Unternehmen ihren „Goodwill“ - möglicherweise auf einen Schlag - gewinnmindernd auflösen. Erfolgt die Bilanzierung nach den US-GAAP, lassen sich zudem nur schwer stille Reserven finden, die eine bereits eingetretene oder drohende Überschuldung im Vermögensstatus beseitigen könnten.
Insgesamt zeigt sich damit, daß die jeweils zugrundeliegenden Bilanzierungsregeln einerseits von großer Bedeutung für die einzuleitenden Sanierungsmaßnahmen sind. Andererseits stellen die Bilanzierungsregeln selbst - im gesetzlich zulässigen Rahmen - ein taugliches Sanierungs- und Steuerungsinstrument in der Unternehmenskrise dar.
Die nicht selten völlig unkoordinierten und unkontrollierten Wachstumsstrategien in der New Economy bedingen in relativ kurzer Zeit einen außerordentlich hohen Verzehr an liquiden Mitteln. Anfangs konnten die notwendigen Finanzmittel durch die Ausgabe neuer Aktien aufgebracht werden. Mittlerweile haben sinkende Aktienkurse, die allgemeine Börsenflaute und das zunehmende Mißtrauen potentieller Anleger gegenüber den vielfach übertriebenen Umsatzerwartungen von New Economy-Unternehmen diese Quelle weitgehend versiegen lassen. Schnell wurde daraus eine „Spirale des Todes“, weil nicht oder zu spät erkannt wurde, daß der immense Liquiditätsbedarf nicht mehr durch die Ausgabe neuer Aktien gedeckt werden konnte.
Mit herkömmlichen Sanierungskonzepten können diese Probleme nur schwer gelöst werden: Den Gründungsgesellschaftern ist die Einbringung von Eigenkapital in den meisten Fällen nicht mehr möglich. Banken winken unter Hinweis auf die „allgemeinen und speziellen Risiken“ der New Economy dankend ab oder knüpfen die Liquiditätsgewährung an entsprechende Sicherheiten. Hierzu mangelt es aber vielfach an tauglichen Beleihungsobjekten.
Ein klassisches „Cost Cutting“ stellt in der New Economy häufig einen vergeblichen Wettlauf gegen die Zeit dar, denn geringe Umsatzerwartungen auf der einen Seite stehen nicht selten überproportionalen Kosten auf der anderen Seite gegenüber. Wegen der im allgemeinen geringen Fremdkapitalisierung von New Economy-Unternehmen scheiden Gläubigerverzichte oder Rangrücktritte als Sanierungsinstrument in den meisten Fällen ebenfalls aus.
Aussichtsreicher erscheint die Sanierung über einen starken Partner oder Übernehmer des Gesamtunternehmens. Hierbei kann es sich um einen strategischen Investor, einen Venture Capital-Geber oder auch um einen Wettbewerber handeln.
Ansatzpunkte für eine solche Sanierung sind die werthaltigen immateriellen Vermögensgegenstände und die stillen, nicht aktivierungsfähigen Reserven des Unternehmens - beispielsweise die Domainnamen und Markenrechte, der Kundenstamm und das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter. Gelingt es dem New Economy-Unternehmen in der Krise, seine Produkte und sein Personal zu halten, so kann es für potentielle Investoren eine hohe Attraktivität besitzen.
Die Kapitalzuführung in das New Economy-Unternehmen kann dabei auf drei Arten erfolgen:
Vorteilhaft an einer solchen Investorenlösung ist für den neuen Investor, daß dieser das Unternehmen relativ preiswert übernehmen kann. Durch die Publizitätspflichten von börsennotierten Unternehmen ist der Öffentlichkeit die Unternehmenskrise nämlich nicht entgangen. Der Finanzmarkt hat entsprechend reagiert, und die Kurse sind gefallen. Zum Nachteil der bisherigen Investoren wirkt sich aus, daß im Rahmen der bilanziellen Bereinigung üblicherweise ein Kapitalschnitt vollzogen wird. Dieser ist nicht selten mit erheblichen Verlusten für die derzeitigen Aktionäre verbunden.
Scheitert eine solche außergerichtliche Sanierung, bietet der Gesetzgeber über die Insolvenzordnung weitere, durchaus erwägenswerte Alternativen.
Mittelständlern in der Old Economy kann nach wie vor nur schwer klargemacht werden, daß mit der Stellung eines Insolvenzantrags nicht zwingend das Ende des Unternehmens eingeleitet wird. Sowohl das Stigma des Konkurses als auch die persönliche Bindung an „ihr“ Unternehmen verhindern den manchmal sinnvollen Gang zum Insolvenzgericht und damit einen möglicherweise vielversprechenden Neuanfang für das notleidende Unternehmen. In der New Economy fällt diese Überzeugungsarbeit im allgemeinen leichter, denn Vorstände und Geschäftsführer sehen ihr persönliches Schicksal vielfach nicht zwingend mit der Existenz des Unternehmens verknüpft.
Mit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999 sind zum einen die vorherigen Konkurs-, Vergleichs- und Gesamtvollstreckungsordnungen in ein einheitliches Regelwerk überführt worden. Zum anderen wurde der Begriff „Konkurs“ aus dem gesetzlichen Vokabular gestrichen. Primäres Ziel des Insolvenzverfahrens ist es, die Gläubiger durch die Verwertung des Schuldnervermögens und die Verteilung der entsprechenden Erlöse gemeinschaftlich zu befriedigen.
Dabei stehen zwei Verfahrensalternativen zur Wahl, die für New Economy-Unternehmen beide in Betracht kommen und in Abbildung 1 dargestellt sind:
Abbildung 1: Alternative Verfahren der Gläubigerbefriedigung
Voraussetzung für beide Verfahrensalternativen ist das Vorliegen eines Insolvenzgrundes. Neben den bisherigen Insolvenztatbeständen „Überschuldung“ und „Zahlungsunfähigkeit“ wurde in die neue Insolvenzordnung zusätzlich der Insolvenztatbestand der „drohenden Zahlungsunfähigkeit“ aufgenommen. Zur Feststellung der Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne kommt eine zweistufige Methode zur Anwendung, die in Abbildung 2 dargestellt ist.
In der ersten Stufe wird geprüft, ob auf der Basis von Liquidationswerten das Vermögen des Unternehmens die Schulden deckt. Ist dies der Fall, liegt keine insolvenzrechtliche Überschuldung vor. Andernfalls wird in der zweiten Stufe geprüft, ob das Unternehmen über eine positive Fortführungsprognose verfügt. Ist diese nicht gegeben, liegt eine Überschuldung und damit eine Insolvenzantragspflicht vor. Bei einer positiven Fortführungsprognose wird demgegenüber - nunmehr basierend auf Fortführungswerten - ein neuer Vermögensstatus aufgestellt. Deckt dabei das Vermögen die Schulden des Unternehmens, besteht keine Insolvenzantragspflicht. Überwiegen die Schulden indes über das Vermögen, ist eine insolvenzrechtliche Überschuldung mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen zu bejahen.
Abbildung 2: Zweistufige Überschuldungsprüfung
Obwohl das Planverfahren eines der Kernstücke des neuen Insolvenzrechts ist, fristet es derzeit noch ein Schattendasein. Dieses dürfte an dem recht aufwendigen, zum Teil umständlichen und vor allem zeitraubenden Verfahren liegen. Zur Planerstellung selbst sind lediglich der Schuldner, der Insolvenzverwalter sowie - mittelbar durch dessen Beauftragung - auch die Gläubigerversammlung berechtigt. Der Plan muß einen Vorschlag enthalten, auf welche Weise und mit welchen Quoten die Gläubiger des Unternehmens befriedigt werden sollen. Die nach der alten Vergleichsordnung noch vorgeschriebene Mindestquote von 35 Prozent ist entfallen.
Im Rahmen des Planverfahrens müssen Gläubigergruppen gebildet werden. Über deren Zusammensetzung kann der Planersteller - von einigen Pflichtgruppen abgesehen - frei entscheiden. Mit gewissem Geschick und taktischem Kalkül ist hierdurch die bei Abstimmungen erforderliche Gruppenmehrheit nach Köpfen oder Summen in Grenzen steuerbar. Grundsätzlich müssen sämtliche Gläubigergruppen dem Sanierungsplan zustimmen. Hierbei sind zwei gesetzliche Regelungen zu beachten:
Beide gesetzlichen Regelungen führen in der Praxis oft zu sanierungshemmenden Verzögerungen. Die Beurteilung einer voraussichtlichen Besser- oder Schlechterstellung durch den Insolvenzplan hat ein hohes prognostisches Element und beruht nicht zuletzt auf hypothetischen Erwägungen. Sinnvoll ist daher eine frühzeitige Einigung zwischen den Beteiligten. Andernfalls könnte eine zeitraubende „Gutachterschlacht“ die mißliche Folge sein.
Mit der Bestätigung des Insolvenzplans wird das Schuldnerunternehmen - vorbehaltlich einer Wiederauflebensklausel im Falle der Nichterfüllung - von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit. Dieses gilt auch für die persönlich haftenden Gesellschafter. Letztere sind allerdings in der New Economy kaum anzutreffen, denn Firmierungen als Einzelkaufleute oder Personenhandelsgesellschaften bleiben dort eher die Ausnahme.
Einerseits ist das Insolvenzplanverfahren ein sehr bürokratisches Verfahren. Dieses dürfte auch der Hauptgrund dafür sein, daß es in der Unternehmenspraxis erst relativ wenige bestätigte Pläne gibt und die übertragende Sanierung nach wie vor dominiert. Andererseits kann ein Insolvenzplan gerade bei New Economy-Unternehmen durchaus Sinn machen. Häufig ist es zweckmäßig, die Gründer als Know-how- und Ideenträger in eine Fortführungslösung einzubinden. Selbst ein Erwerb der Vermögenswerte (Assets) aus dem insolventen Unternehmen im Rahmen einer übertragenen Sanierung dürfte häufig an fehlenden finanziellen Mitteln scheitern. Ein Insolvenzplan bietet insoweit Chance und Anreiz zugleich, sich auf einen Schlag eines Teils der Verbindlichkeiten zu entledigen und zudem lästige Dauerschuldverhältnisse zu beenden. Darüber hinaus kann auch eine Entlassung aus persönlichen Bürgschaften bei entsprechenden Gegenleistungen im Rahmen des Insolvenzplans vereinbart werden. Hierdurch werden Motivation und Mut für einen Neustart geschaffen.
In der stark publikumsorientierten New Economy sind die „Maßnahmen der ersten Stunden“ häufig entscheidend für den Erfolg einer Unternehmenssanierung. Das innovative, schnellebige Geschäft der New Economy verzeiht keinen längeren Stillstand und verlangt nach raschen Lösungen. Die Insolvenzordnung hält hierfür zwei besonders geeignete Instrumente bereit:
Abbildung 3: Konzept der drohenden Zahlungsunfähigkeit
Insgesamt stellen der Prepacked Plan und die Eigenverwaltung bei entsprechender Vorbereitung und Umsetzung somit durchaus sinnvolle Alternativen zur immer noch in der Unternehmenspraxis vorherrschenden übertragenden Sanierung dar.
Die in der Überschrift dieses Beitrags gestellte Frage „Down by law?“ kann - bezogen auf die neue Insolvenzordnung - verneint werden. Aussichtsreiche Sanierungsbemühungen in der New Economy werden durch das Insolvenzrecht vielleicht nicht in allen Fällen gefördert, keinesfalls aber bewußt behindert oder gar verhindert. Voraussetzungen für den Erfolg einer Sanierung bleiben aber zum einen eine tragfähige Geschäftsidee und ein am Markt plazierbares Produkt. Zum anderen müssen im Rahmen der Restrukturierungs- und Sanierungsmaßnahmen die gesellschaftsrechtlichen und bilanziellen Besonderheiten der New Economy beachtet werden.
Obwohl die Insolvenzordnung erfolgversprechende Ansätze und Möglichkeiten für Unternehmenssanierungen bietet, die zum Teil noch gar nicht ausgeschöpft sind, wird auch das neue Recht nichts daran ändern können, daß Unternehmenskrisen nicht immer mit der Sanierung oder Restrukturierung, also mit dem weitgehenden Erhalt des Unternehmens, bewältigt werden können.
Dieser Beitrag wurde - mit freundlicher Genehmigung der F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen GmbH - dem folgenden Sammelband entnommen:
Frank Roselieb (Hrsg.), |
Dr. Utz Brömmekamp |
Oliver Oechsle |
Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
5. Jahrgang (2002), Ausgabe 6 (Juni)
Deutsch
/ English
Letzte Aktualisierung: Freitag, 24. Januar 2025
© Krisennavigator, Kiel / Hamburg. Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
Internet: www.krisennavigator.de
|