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Interview mit Dr. Utz Brömmekamp
von Frank Roselieb
Fast zeitgleich mit dem Beitritt von zehn neuen Ländern zur Europäischen Union im Mai 2004 feiert die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) ihren zweiten Geburtstag. Die neuen Regelungen traten am 31. Mai 2002 in allen Ländern der EU - mit Ausnahme Dänemarks - in Kraft. Vorausgegangen war ein fast dreißigjähriges, zähes Ringen um ein einheitliches Insolvenzverfahren in der EU, das mit der Einrichtung einer Expertenkommission Anfang der 70er Jahre begann.
Nach dem Willen der EU-Kommission soll die Europäische Insolvenzverordnung insbesondere die "Effizienz und Wirksamkeit" von grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren verbessern und ein sogenanntes "forum shopping" - also die Verlagerung von Rechtsstreitigkeiten und Vermögensgegenständen von einem EU-Mitgliedsland in ein anderes, mit einer "besseren" Rechtsstellung - wirksam unterbinden. Die EU-Verordnung gilt für alle Insolvenzverfahren - unabhängig davon, ob es sich beim Schuldner um eine Privatperson oder um ein Unternehmen handelt.
Räumt die Europäische Insolvenzverordnung verbliebene Stolpersteine des deutschen Insolvenzrechts aus dem Weg? Fällt es Gläubigern durch die EU-Vorschriften tatsächlich leichter, ihre Forderungen grenzüberschreitend durchzusetzen? Im Gespräch mit dem Krisennavigator zieht Rechtsanwalt Dr. Utz Brömmekamp (Foto) aus Düsseldorf, Partner der Rechtsanwaltssozietät Buchalik & Brömmekamp und geschäftsführender Gesellschafter der MBB Consult GmbH, eine kritische Zwischenbilanz nach zwei Jahren europäischem Insolvenzrecht. Die Fragen stellt Frank Roselieb vom Krisennavigator - Institut für Krisenforschung aus Kiel.
Krisennavigator: Die EU-Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren ist gut drei Jahre nach dem deutschen Insolvenzrecht in Kraft getreten. Haben die Väter der europäischen Regelungen aus den "Fehlern" ihrer deutschen Kollegen gelernt und die rechtlichen Stolpersteine hin zu mehr erfolgreichen Unternehmenssanierungen auf EU-Ebene aus dem Weg geräumt?
Dr. Brömmekamp: Die Europäische Insolvenzverordnung legt in erster Linie die internationale Zuständigkeit für das jeweilige Insolvenzverfahren fest. Innerstaatliche Regelungen - und damit auch das nationale Insolvenzrecht - bleiben im materiellen Sinne weitgehend unberührt. Nach der EU-Verordnung gilt das sogenannte "lex concursus". Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung wird somit automatisch auf alle übrigen EU-Mitgliedsstaaten ausgedehnt und regelt auch dort - für alle betroffenen Personen und Rechtsverhältnisse weitgehend einheitlich - die verfahrensrechtlichen und materiellen Wirkungen des Insolvenzverfahrens. Zumindest für Insolvenzverfahren mit Deutschland als Eröffnungsland bestehen die bekannten Sanierungshemmnisse und Sanierungshindernisse des deutschen Insolvenzrechts somit fort. Hierzu zählen beispielsweise die Geltung des § 613a BGB mit der grundsätzlichen Verpflichtung zur Übernahme sämtlicher Arbeitsverhältnisse im Falle des Betriebsübergangs, die jedenfalls grundsätzlich nach wie vor geltende Besteuerung von Sanierungsgewinnen und die erheblich eingeschränkte Nutzung von Verlustvorträgen im Rahmen der seit Januar 2004 geltenden Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen.
Krisennavigator: Ein wesentliches Ziel der Europäischen Insolvenzverordnung ist es, das sogenannte "forum shopping" - also die strategische Auswahl eines für das betreffende Unternehmen "günstigen" Insolvenzstandortes innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten - zu erschweren. Können die Regelungen der EU-Verordnung eine solche "Schuldnerflucht" tatsächlich wirksam unterbinden?
Dr. Brömmekamp: Die Europäische Insolvenzverordnung unterscheidet zwei Arten von Insolvenzverfahren: Das Hauptinsolvenzverfahren soll stets in dem EU-Mitgliedsland eröffnet werden, in dem der Schuldner den "Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen" hat. Dieses Verfahren hat universale Gültigkeit innerhalb der EU und zielt darauf ab, das Vermögen des Schuldners in allen EU-Staaten - mit Ausnahme Dänemarks - flächendeckend zu erfassen. Parallel hierzu können sogenannte Sekundärinsolvenzverfahren in solchen EU-Mitgliedsländern eröffnet werden, in denen der Schuldner eine Niederlassung unterhält. Diese Verfahren sind zwar auf das Vermögen des Schuldners im jeweiligen Land beschränkt. Gleichwohl tragen Vorschriften zur zwingenden Koordinierung mit dem Hauptinsolvenzverfahren dazu bei, dass sich ein Schuldner innerhalb der EU nicht ohne weiteres dem Zugriff der Gläubiger entziehen kann. Nach der EU-Insolvenzverordnung wäre das Auslandsvermögen des Schuldners allenfalls dann "zugriffsfest", wenn entweder der Mittelpunkt seiner Geschäftstätigkeit außerhalb der EU liegt oder aber Vermögensgegenstände in einem EU-Mitgliedsland mit Rechten Dritter belastet sind, die dort nach dem nationalen Recht nicht der Anfechtung unterliegen.
Krisennavigator: Stichwort "Anfechtung". Das Anfechtungsrecht ist in den einzelnen Mitgliedsländern der EU sehr unterschiedlich geregelt. Hat die EU-Insolvenzverordnung in diesem Punkt für mehr Klarheit - und damit für mehr "Fairness" unter den Gläubigern - gesorgt?
Dr. Brömmekamp: Bei der Insolvenzanfechtung sieht das Europäische Insolvenzrecht eine Beweislastumkehr vor. Der bevorzugte Gläubiger kann die Anfechtung einer Handlung des Schuldners zu seinen Gunsten durch andere, benachteiligte Gläubiger nur dann wirksam verhindern, wenn er belegt, dass die betreffende Handlung dem Recht eines anderen Staates unterliegt und diese zweite Rechtsordnung eine Anfechtbarkeit ausdrücklich verneint. Etwas großzügiger ist der EU-Gesetzgeber bei der Aufrechnung von Forderungen und Verbindlichkeiten. Eine solche Aufrechnung ist durch das EU-Insolvenzrecht nur dann eingeschränkt, wenn sowohl das Recht des Mitgliedsstaates der Verfahrenseröffnung als auch das Recht des EU-Landes, dem die Forderung des Schuldners gegen den Gläubiger unterliegt, die Aufrechnung ausdrücklich verneinen.
Krisennavigator: Im Fall von grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren werden Gläubiger bei der Durchsetzung ihrer Forderungen mit zahlreichen Problemen konfrontiert. Neben sprachlichen Schwierigkeiten unterscheiden sich häufig auch die rechtlichen Regelungen - beispielsweise hinsichtlich Sicherungsrechten und Einzelzwangsvollstreckung - ganz erheblich innerhalb der EU. Inwieweit können die Regelungen des Europäischen Insolvenzrechts den Gläubigern helfen, das Risiko eines Forderungsausfalls möglichst gering zu halten?
Dr. Brömmekamp: Hierbei sollten zwei Arten von Gläubigern unterschieden werden: Ein gesicherter Gläubiger kann auch nach einer Insolvenzeröffnung Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in das Vermögen des Schuldners vornehmen, wenn sich die betreffende Sache mit einem Eigentumsvorbehalt zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung in einem anderen EU-Mitgliedsland befindet. Sicherungsgüter im Ausland sind nämlich von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Inland nicht betroffen. Auch der Insolvenzverwalter darf keine Verwertungshandlungen an diesen Gegenständen vornehmen. Ein gesicherter Gläubiger sollte somit spätestens zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung dafür sorgen, dass sich das bewegliche Gut mit einem Eigentumsvorbehalt nicht im Land der Verfahrenseröffnung befindet. Dieses Vorgehen wird aber nicht selten von ungesicherten Gläubigern durchkreuzt. Diese haben in der Regel ein Interesse daran, die Insolvenzmasse zu maximieren. Ungesicherten Gläubigern sei daher angeraten, kurzfristig nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Inland ein Sekundärinsolvenzverfahren im Ausland zu beantragen. Dieses erfasst sämtliche Gegenstände im betreffenden Land - auch solche, die mit einem Eigentumsvorbehalt belegt sind. Inwieweit Gläubiger ein Antragsrecht für Sekundärinsolvenzverfahren haben, richtet sich nach den jeweiligen nationalen Regelungen. In Deutschland ist diese Möglichkeit gegeben.
Krisennavigator: Die Europäische Insolvenzverordnung scheint die Durchsetzung von grenzüberschreitenden Gläubigerinteressen in Europa deutlich zu erleichtern. Wurde im Gegenzug auch die Arbeit der Insolvenzverwalter bei EU-weiten Verfahren vereinfacht?
Dr. Brömmekamp: Zumindest auf den ersten Blick machen die Regelungen des europäischen Insolvenzrechts die Arbeit der Insolvenzverwalter leichter. Beispielsweise war es Verwaltern vor Inkrafttreten der EU-Insolvenzverordnung nicht immer vergönnt, das Auslandsvermögen eines Schuldners in Besitz zu nehmen - zum Beispiel weil ein anderes Land die Befugnisse des Insolvenzverwalters nicht anerkannte. Nun kann der Verwalter bei seiner grenzübergreifenden Arbeit per Gesetz auf die Unterstützung der Behörden in fast allen anderen EU-Mitgliedsländern zählen. Um ein zügiges Verfahren zu ermöglichen, wurden außerdem die Anforderungen an den Legitimationsnachweis des Insolvenzverwalters bewusst einfach gehalten. Auf den zweiten Blick fällt das Urteil allerdings nicht ganz so positiv aus. Unter Rückgriff auf den sogenannten "Ordre Public"-Grundsatz kann jedes EU-Mitgliedsland die Anerkennung eines im Ausland eröffneten Insolvenzverfahrens verweigern, wenn deren Entscheidungen den Grundprinzipien der eigenen Gesetze oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten des eigenen Landes zuwiderlaufen. Die mittlerweile zweijährige Erfahrung mit den Paragraphen des Europäischen Insolvenzrechts zeigt außerdem, dass die vom EU-Gesetzgeber ausdrücklich gewünschte "enge Zusammenarbeit der verschiedenen Verwalter" und der "hinreichende Informationsaustausch" bei parallel anhängigen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren eher ein frommer Wunsch als gelebte Gesetzesrealität sind.
Krisennavigator: Die deutsche Insolvenzordnung wurde im Dezember 2001 - also knapp drei Jahre nach ihrem Inkrafttreten - reformiert. Für den Fall, dass auch der EU-Gesetzgeber ein solches "Update" plant: Welches wären die "Kinderkrankheiten" des europäischen Insolvenzrechts, die aus Ihrer Sicht geheilt werden müssten?
Dr. Brömmekamp: Auf dem Weg hin zu einem einheitlichen Insolvenzverfahren in Europa stellt die Europäische Insolvenzverordnung zweifellos einen Fortschritt dar. Ein Quantensprung ist mit ihr aber sicherlich nicht gelungen. Erstens finden sich in der Europäischen Insolvenzverordnung keine Regelungen zu Konzerninsolvenzen, obwohl diese nachweislich die Hauptgruppe von grenzüberschreitenden Insolvenzen darstellen. Aus unserer Erfahrung bringt die EU-Verordnung daher beispielsweise bei der Sanierung von europaweit tätigen Unternehmensgruppen keinerlei Erleichterung. Zweitens bleibt terminologisch unklar, in welchem EU-Mitgliedsland das Unternehmen den "Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen" hat und folglich der Ort für das Hauptinsolvenzverfahren sein muss. Drittens können die Sanierungschancen im schlimmsten Fall gänzlich vereitelt werden, einerseits wegen der deutlichen Ausweitung des Kreises der Insolvenzantragsberechtigten und andererseits infolge der unanfechtbaren Entscheidung des nationalen Insolvenzgerichts, das Hauptverfahren zu eröffnen. Nach der Europäischen Insolvenzverordnung muss nämlich jedes in einem anderen EU-Mitgliedsland angestrengte Sekundärverfahren automatisch ein Liquidationsverfahren sein.
Krisennavigator: Vielen Dank für dieses Gespräch.
Dr. Utz Brömmekamp |
Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
7. Jahrgang (2004), Ausgabe 4 (April)
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Letzte Aktualisierung: Dienstag, 10. Dezember 2024
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