Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 12 (Dezember) - ISSN 1619-2389
 

Saniert, aber zu schwach zum Überleben? -
Warum Unternehmenssanierungen so häufig scheitern

Interview von Frank Roselieb und Marion Dreher
mit Dr. Volkhard Emmrich

Überblick

"Intershop kämpft ums Überleben: Sanierung misslungen" (Quelle: "Die Welt" vom 4. Juli 2003), "Wienerwald: Die Restaurantkette meldet - mal wieder - Insolvenz an" (Quelle: Manager-Magazin.de vom 17. Juni 2003). "Rund 50 Prozent der Krisenfälle gehen in die Insolvenz, nur 20,6 Prozent der Unternehmen können saniert werden" (Quelle: www.wieselhuber.de). Liegt es an der Unfähigkeit der Krisenmanager oder an der Starrköpfigkeit der Geschäftsführer und Vorstände, dass nur etwa jedes fünfte Unternehmen in Deutschland den Turnaround schafft?

Wieso entpuppt sich mancher anfängliche Sanierungserfolg im Nachhinein als Pyrrhussieg? Durch welche Maßnahmen kann der Erfolg einer Sanierung nachhaltig gesichert werden? Welche Bedeutung hat das Sanierungscontrolling für einen wirklich gelungenen Turnaround? Diese und andere Fragen zu einer auch langfristig erfolgreichen Krisenbewältigung beantwortet Dr. Volkhard Emmrich, Geschäftsführer der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH Unternehmensberatung in München, im Gespräch mit Marion Dreher und Frank Roselieb vom Krisennavigator - Institut für Krisenforschung in Kiel.

"Wenn man bei einer Sanierung auf halbem Wege stehen bleibt,
ist die nächste Krise bereits vorprogrammiert."

Krisennavigator: "Zum 100. Geburtstag ist Herlitz saniert", meldete "Der Tagesspiegel" am 22. April 2004. Dem Berliner Hersteller von Papier-, Büro- und Schreibwaren scheint nach der Insolvenzanmeldung zwei Jahre zuvor der Turnaround erfolgreich gelungen zu sein. Ist Herlitz die große Ausnahme?

Dr. Volkhard Emmrich: Leider ja. Wir haben in einer Studie 632 Sanierungsfälle untersucht, die im Jahr 2003 abgeschlossen wurden. Davon konnten nur 130, also etwa jeder fünfte, an die Firmenkundenabteilung der betreuenden Bank als "erfolgreich saniert" und mit guter Bonität zurückgegeben werden. Aus unserer Erfahrung scheitert die Sanierung in vielen Fällen, weil sie auf eine kurzfristige Bereinigung der Kostenstruktur beschränkt wird und die für den langfristigen Erfolg notwendige strategische Neuausrichtung der Geschäfte ausbleibt. Um eine erneute Krisenanfälligkeit zu verhindern, müssen aber nicht nur die Kostentreiber des Unternehmens abgebaut, sondern auch seine Wertetreiber mobilisiert werden. Da unter der Oberfläche operativer Krisensymptome häufig auch Strategiedefizite als Krisenursache ausgemacht werden können, müssen grundlegende Faktoren wie die Konzernstruktur, die Führungsorganisation oder die Geschäftsfelder überdacht werden, um das Überleben des Unternehmens auch auf lange Zeit zu sichern.

Krisennavigator: Radikale Kostensenkung einerseits, strategische Neuausrichtung andererseits - wie soll Unternehmen in einer akuten Krisensituation dieser Spagat gelingen?

Dr. Emmrich: Für eine nachhaltige Unternehmenssanierung ist ein dreistufiges Vorgehen empfehlenswert. Zunächst muss die Liquidität gesichert und damit die Sanierungsfähigkeit hergestellt werden. Zu diesem Zweck sollten der akute Liquiditätsbedarf ermittelt, interne und externe Quellen zur Liquiditätsschöpfung identifiziert und ein erster Grobcheck der Markt- und Wettbewerbsposition vorgenommen werden. Als zweites gilt es, Maßnahmen zur Restrukturierung und Kostensenkung zu ergreifen. Beispielsweise können über Benchmark-Vergleiche, Sollvorgaben und Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion Potenziale zur Effizienzsteigerung ermittelt und kurzfristig realisiert werden. Der dritte Schritt ist entscheidend für einen nachhaltigen Sanierungserfolg. Hier wird das Schieflageunternehmen rekonfiguriert und strategisch neu ausgerichtet. Sein Geschäftsmodell und die Unternehmensstruktur müssen kritisch hinterfragt und am Marktumfeld sowie an den Erfolgsfaktoren und Wertetreibern des Unternehmens neu justiert werden. Leider gehen viele Betriebe gar nicht erst so weit, sondern konzentrieren sich bei der Sanierung ausschließlich auf Liquiditätssicherung und Kostensenkung. Wenn man bei einer Sanierung jedoch auf halbem Wege stehen bleibt, ist die nächste Krise bereits vorprogrammiert.

"Die eigentliche Kür der Unternehmenssanierung besteht
in der Optimierung der Kernprozesse."

Krisennavigator: Die meisten Unternehmen lassen sich bei der Sanierung von einem externen Berater begleiten oder werden durch die Work-Out-Abteilung der Hausbank unterstützt. Woran liegt es, dass trotz dieser Expertise der Weg zum erfolgreichen Turnaround nicht konsequent zu Ende gegangen wird?

Dr. Emmrich: Gerade beim inhabergeführten Mittelstand wird - allen Marktentwicklungen zum Trotz - oftmals viel zu lange an den persönlichen Vorlieben und festgefahrenen Strategien der Führungskräfte festgehalten. Dies führt dazu, dass Inhaberunternehmen nicht nur die häufigsten Sanierungsfälle stellen, sondern auch am schwersten zu sanieren sind. Mangelnde Krisenerfahrung des Inhabers, gepaart mit einer oftmals ausgeprägten Emotionalität und der Furcht, Entscheidungskompetenz und Einfluss aufzugeben, verhindern im Verlauf einer Sanierung die notwendigen harten Schritte. Dadurch werden gerade jene überholten Strukturen verteidigt, die das Unternehmen in die Krise geführt haben. Selbst wenn der Inhaber sinnvoll in die Sanierung eingebunden werden kann, begünstigt dies nicht zwangsläufig den Erfolg. Kommt es zu einem Interessenkonflikt zwischen Management, Banken und Betriebsrat, so führt dies zu einer deutlichen Klimaverschlechterung im Schieflageunternehmen und nicht selten zu schwindender Unterstützung für das Sanierungskonzept.

Krisennavigator: Kein Unternehmen gleicht dem anderen, und jede Krise bringt vermutlich neue Herausforderungen mit sich. Kann man dennoch allgemeingültige Regeln für einen erfolgreichen Turnaround ableiten?

Dr. Emmrich: Nach unserer Erfahrung sind drei Faktoren für den Erfolg einer Unternehmenssanierung entscheidend. Erstens sollten Konzeption und Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen aus einer Hand erfolgen. Hierzu empfiehlt sich die Bildung von gemischten Projektteams, die aus externen Beratern und eigenen Mitarbeitern zusammengesetzt sind. Durch diese lassen sich spezielle Methodenkenntnis und internes Know-how optimal kombinieren. Zweitens darf der hinzugezogene Interimsmanager bzw. Berater keine eigenen M&A-Aktivitäten verfolgen und nicht mit Firmenanteilen entlohnt werden. Nur so ist sichergestellt, dass er sich voll auf das Sanierungsprojekt fokussiert und Interessenkonflikte weitgehend vermieden werden. Drittens hat eine Rekonfiguration der Strukturen und Geschäftsprozesse als Teil einer so genannten gestaltenden Sanierung zu erfolgen. Hierzu zählen beispielsweise Maßnahmen wie die Konzentration auf das Kerngeschäft, die Verschlankung der Produktpalette, die Abspaltung wertmindernder Unternehmensbereiche sowie die Trennung von sanierungshemmenden Managementpersönlichkeiten. In dieser Optimierung der Kernprozesse besteht die eigentliche "Kür" der Sanierung.

"Aus Sicht der Banken spielt insbesondere das
persönliche Vertrauen in die handelnden Personen
eine nicht zu unterschätzende Rolle."

Krisennavigator: "Wirf dem schlechten Geld kein gutes hinterher", lautet eine landläufige Weisheit in Bankenkreisen. Wie kann der bereits einmal gescheiterte Unternehmer seine Kreditgeber davon überzeugen, die strategische Neuausrichtung mitzutragen?

Dr. Emmrich: Die möglichst frühe Einbindung und Gleichbehandlung aller beteiligten Banken ist häufig ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Sanierungsbemühungen. Die Zusammenarbeit mit den Banken gestaltet sich umso leichter, je weniger Banken beteiligt sind und je homogener der Bankenkreis zusammengesetzt ist. In unserer bereits genannten Studie sprachen sich über 90 Prozent der befragten Bankenfachleute für eine Konzentration auf die profitablen Geschäftsbereiche als wesentliche Sanierungsmaßnahme aus. Lediglich ein Viertel der Befragten sah im Verkauf des Gesamtunternehmens ein geeignetes Mittel zur Rettung des Betriebs. Generell scheinen somit die beteiligten Banken das Konzept der gestaltenden Sanierung zu unterstützen. Ihre jeweilige Strategie für das Engagement legen die Banken meist einzelfallbezogen fest. Basis dafür ist ein Mix aus harten und weichen Faktoren. Insbesondere spielt das persönliche Vertrauen in die handelnden Personen eine zwar nicht quantifizierbare, aber doch nicht zu unterschätzende Rolle.

Krisennavigator: Stichwort "Quantifizierung". Wie kann das Management Banken und anderen Gläubigern gegenüber den Erfolg des eingeschlagenen Sanierungskurses nachvollziehbar belegen?

Dr. Emmrich: Unverzichtbarer Bestandteil eines Erfolg versprechenden Rettungskonzepts ist ein systematisches Sanierungscontrolling. Im Rahmen einer so genannten Aktivplanung werden alle Sanierungsmaßnahmen in die GuV-, Bilanz- und Liquiditätsplanung integriert. Hierdurch wird das Sanierungskonzept controllingfähig. Die Aufbereitung der Daten kann auf zweierlei Weise erfolgen: Entweder wird das betriebswirtschaftliche Steuerungssystem des Unternehmens an die neuen Anforderungen angepasst oder es wird auf ein externes System - beispielsweise das eines Beraters - zurückgegriffen. In beiden Fällen müssen die Mitarbeiter des Unternehmens in die Verantwortung miteinbezogen werden, damit sie das nötige Gefühl für "System und Zahlen" gewinnen. Die Hoheit über das Sanierungscontrolling sollte möglichst in den Händen eines Sanierungsexperten, beispielsweise eines extern eingesetzten Zeitmanagers, liegen. Anzustreben sind außerdem regelmäßige Berichte in wöchentlichen, monatlichen, quartalsweisen und jährlichen Zeitintervallen - oder bei Bedarf auch ad hoc. Diese werden Banken, Gläubigern und anderen an der Sanierung Beteiligten zur zeitnahen und kontinuierlichen Information vorgelegt. Nach einer erfolgreichen Sanierung gilt es, das interne und externe Berichtswesen auf Basis der Erfahrungen des Sanierungscontrollings umzustellen - schließlich ist ein gutes Berichtswesen die beste Vorsorge, um zukünftige Fehlentwicklungen schnell zu erkennen. Meist ändert sich dabei der Fokus der Betrachtung weg von der reinen Kostenorientierung unter Liquiditätsgesichtspunkten und hin zur Erlösbetrachtung unter Ergebnisgesichtspunkten.

Krisennavigator: Auch die intensivsten Sanierungsbemühungen müssen irgendwann ein Ende finden. Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem das Unternehmen wieder zum Routinegeschäft übergehen kann?

Dr. Emmrich: Die Wahrnehmung, wann das Not leidende Unternehmen "über den Berg" ist, variiert je nach Perspektive: Aus Sicht der Banken ist die Sanierung dann erfolgreich, wenn das Engagement nach Wiedererlangung der Kapitaldienstfähigkeit und Erfüllung der an Basel II orientierten Ratingkriterien an den Firmenkundenbereich zurückgegeben werden kann. Gleichwohl wird auch bei einer weiteren Finanzierung das Finanzierungsvolumen in der Regel deutlich reduziert. Aus Sicht der Unternehmen sind eine gesunde Bilanzrelation sowie benchmarkfähige Cashflow- und Performancewerte ein klarer Indikator für einen Sanierungserfolg. Ob die Sanierung tatsächlich erfolgreich war, entscheidet letztendlich natürlich der Markt: Nur wenn das Unternehmen durch flexiblere Strukturen zukünftig schneller auf Kundenwünsche reagieren kann und neben einer höheren Profitabilität auch klar erkennbare Vorteile gegenüber seinen Wettbewerbern aufweist, ist der Turnaround nachhaltig gelungen.

Krisennavigator: Vielen Dank für dieses Gespräch

Ansprechpartner

Dr. Volkhard Emmrich
- Geschäftsführer -
Dr. Wieselhuber & Partner GmbH
Unternehmensberatung
Königinstrasse 33
D-80539 München
Telefon: +49 (0)89 2 86 23 - 0
Telefax: +49 (0)89 2 86 23 - 260
Internet: www.wieselhuber.de
E-Mail: emmrich@wieselhuber.de

 

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
7. Jahrgang (2004), Ausgabe 10 (Oktober)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
www.krisennavigator.de | E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de

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Saniert, aber zu schwach zum Überleben? -
Warum Unternehmenssanierungen so häufig scheitern

Interview von Frank Roselieb und Marion Dreher
mit Dr. Volkhard Emmrich

Überblick

"Intershop kämpft ums Überleben: Sanierung misslungen" (Quelle: "Die Welt" vom 4. Juli 2003), "Wienerwald: Die Restaurantkette meldet - mal wieder - Insolvenz an" (Quelle: Manager-Magazin.de vom 17. Juni 2003). "Rund 50 Prozent der Krisenfälle gehen in die Insolvenz, nur 20,6 Prozent der Unternehmen können saniert werden" (Quelle: www.wieselhuber.de). Liegt es an der Unfähigkeit der Krisenmanager oder an der Starrköpfigkeit der Geschäftsführer und Vorstände, dass nur etwa jedes fünfte Unternehmen in Deutschland den Turnaround schafft?

Wieso entpuppt sich mancher anfängliche Sanierungserfolg im Nachhinein als Pyrrhussieg? Durch welche Maßnahmen kann der Erfolg einer Sanierung nachhaltig gesichert werden? Welche Bedeutung hat das Sanierungscontrolling für einen wirklich gelungenen Turnaround? Diese und andere Fragen zu einer auch langfristig erfolgreichen Krisenbewältigung beantwortet Dr. Volkhard Emmrich, Geschäftsführer der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH Unternehmensberatung in München, im Gespräch mit Marion Dreher und Frank Roselieb vom Krisennavigator - Institut für Krisenforschung in Kiel.

"Wenn man bei einer Sanierung auf halbem Wege stehen bleibt,
ist die nächste Krise bereits vorprogrammiert."

Krisennavigator: "Zum 100. Geburtstag ist Herlitz saniert", meldete "Der Tagesspiegel" am 22. April 2004. Dem Berliner Hersteller von Papier-, Büro- und Schreibwaren scheint nach der Insolvenzanmeldung zwei Jahre zuvor der Turnaround erfolgreich gelungen zu sein. Ist Herlitz die große Ausnahme?

Dr. Volkhard Emmrich: Leider ja. Wir haben in einer Studie 632 Sanierungsfälle untersucht, die im Jahr 2003 abgeschlossen wurden. Davon konnten nur 130, also etwa jeder fünfte, an die Firmenkundenabteilung der betreuenden Bank als "erfolgreich saniert" und mit guter Bonität zurückgegeben werden. Aus unserer Erfahrung scheitert die Sanierung in vielen Fällen, weil sie auf eine kurzfristige Bereinigung der Kostenstruktur beschränkt wird und die für den langfristigen Erfolg notwendige strategische Neuausrichtung der Geschäfte ausbleibt. Um eine erneute Krisenanfälligkeit zu verhindern, müssen aber nicht nur die Kostentreiber des Unternehmens abgebaut, sondern auch seine Wertetreiber mobilisiert werden. Da unter der Oberfläche operativer Krisensymptome häufig auch Strategiedefizite als Krisenursache ausgemacht werden können, müssen grundlegende Faktoren wie die Konzernstruktur, die Führungsorganisation oder die Geschäftsfelder überdacht werden, um das Überleben des Unternehmens auch auf lange Zeit zu sichern.

Krisennavigator: Radikale Kostensenkung einerseits, strategische Neuausrichtung andererseits - wie soll Unternehmen in einer akuten Krisensituation dieser Spagat gelingen?

Dr. Emmrich: Für eine nachhaltige Unternehmenssanierung ist ein dreistufiges Vorgehen empfehlenswert. Zunächst muss die Liquidität gesichert und damit die Sanierungsfähigkeit hergestellt werden. Zu diesem Zweck sollten der akute Liquiditätsbedarf ermittelt, interne und externe Quellen zur Liquiditätsschöpfung identifiziert und ein erster Grobcheck der Markt- und Wettbewerbsposition vorgenommen werden. Als zweites gilt es, Maßnahmen zur Restrukturierung und Kostensenkung zu ergreifen. Beispielsweise können über Benchmark-Vergleiche, Sollvorgaben und Maßnahmen zur Komplexitätsreduktion Potenziale zur Effizienzsteigerung ermittelt und kurzfristig realisiert werden. Der dritte Schritt ist entscheidend für einen nachhaltigen Sanierungserfolg. Hier wird das Schieflageunternehmen rekonfiguriert und strategisch neu ausgerichtet. Sein Geschäftsmodell und die Unternehmensstruktur müssen kritisch hinterfragt und am Marktumfeld sowie an den Erfolgsfaktoren und Wertetreibern des Unternehmens neu justiert werden. Leider gehen viele Betriebe gar nicht erst so weit, sondern konzentrieren sich bei der Sanierung ausschließlich auf Liquiditätssicherung und Kostensenkung. Wenn man bei einer Sanierung jedoch auf halbem Wege stehen bleibt, ist die nächste Krise bereits vorprogrammiert.

"Die eigentliche Kür der Unternehmenssanierung besteht
in der Optimierung der Kernprozesse."

Krisennavigator: Die meisten Unternehmen lassen sich bei der Sanierung von einem externen Berater begleiten oder werden durch die Work-Out-Abteilung der Hausbank unterstützt. Woran liegt es, dass trotz dieser Expertise der Weg zum erfolgreichen Turnaround nicht konsequent zu Ende gegangen wird?

Dr. Emmrich: Gerade beim inhabergeführten Mittelstand wird - allen Marktentwicklungen zum Trotz - oftmals viel zu lange an den persönlichen Vorlieben und festgefahrenen Strategien der Führungskräfte festgehalten. Dies führt dazu, dass Inhaberunternehmen nicht nur die häufigsten Sanierungsfälle stellen, sondern auch am schwersten zu sanieren sind. Mangelnde Krisenerfahrung des Inhabers, gepaart mit einer oftmals ausgeprägten Emotionalität und der Furcht, Entscheidungskompetenz und Einfluss aufzugeben, verhindern im Verlauf einer Sanierung die notwendigen harten Schritte. Dadurch werden gerade jene überholten Strukturen verteidigt, die das Unternehmen in die Krise geführt haben. Selbst wenn der Inhaber sinnvoll in die Sanierung eingebunden werden kann, begünstigt dies nicht zwangsläufig den Erfolg. Kommt es zu einem Interessenkonflikt zwischen Management, Banken und Betriebsrat, so führt dies zu einer deutlichen Klimaverschlechterung im Schieflageunternehmen und nicht selten zu schwindender Unterstützung für das Sanierungskonzept.

Krisennavigator: Kein Unternehmen gleicht dem anderen, und jede Krise bringt vermutlich neue Herausforderungen mit sich. Kann man dennoch allgemeingültige Regeln für einen erfolgreichen Turnaround ableiten?

Dr. Emmrich: Nach unserer Erfahrung sind drei Faktoren für den Erfolg einer Unternehmenssanierung entscheidend. Erstens sollten Konzeption und Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen aus einer Hand erfolgen. Hierzu empfiehlt sich die Bildung von gemischten Projektteams, die aus externen Beratern und eigenen Mitarbeitern zusammengesetzt sind. Durch diese lassen sich spezielle Methodenkenntnis und internes Know-how optimal kombinieren. Zweitens darf der hinzugezogene Interimsmanager bzw. Berater keine eigenen M&A-Aktivitäten verfolgen und nicht mit Firmenanteilen entlohnt werden. Nur so ist sichergestellt, dass er sich voll auf das Sanierungsprojekt fokussiert und Interessenkonflikte weitgehend vermieden werden. Drittens hat eine Rekonfiguration der Strukturen und Geschäftsprozesse als Teil einer so genannten gestaltenden Sanierung zu erfolgen. Hierzu zählen beispielsweise Maßnahmen wie die Konzentration auf das Kerngeschäft, die Verschlankung der Produktpalette, die Abspaltung wertmindernder Unternehmensbereiche sowie die Trennung von sanierungshemmenden Managementpersönlichkeiten. In dieser Optimierung der Kernprozesse besteht die eigentliche "Kür" der Sanierung.

"Aus Sicht der Banken spielt insbesondere das
persönliche Vertrauen in die handelnden Personen
eine nicht zu unterschätzende Rolle."

Krisennavigator: "Wirf dem schlechten Geld kein gutes hinterher", lautet eine landläufige Weisheit in Bankenkreisen. Wie kann der bereits einmal gescheiterte Unternehmer seine Kreditgeber davon überzeugen, die strategische Neuausrichtung mitzutragen?

Dr. Emmrich: Die möglichst frühe Einbindung und Gleichbehandlung aller beteiligten Banken ist häufig ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Sanierungsbemühungen. Die Zusammenarbeit mit den Banken gestaltet sich umso leichter, je weniger Banken beteiligt sind und je homogener der Bankenkreis zusammengesetzt ist. In unserer bereits genannten Studie sprachen sich über 90 Prozent der befragten Bankenfachleute für eine Konzentration auf die profitablen Geschäftsbereiche als wesentliche Sanierungsmaßnahme aus. Lediglich ein Viertel der Befragten sah im Verkauf des Gesamtunternehmens ein geeignetes Mittel zur Rettung des Betriebs. Generell scheinen somit die beteiligten Banken das Konzept der gestaltenden Sanierung zu unterstützen. Ihre jeweilige Strategie für das Engagement legen die Banken meist einzelfallbezogen fest. Basis dafür ist ein Mix aus harten und weichen Faktoren. Insbesondere spielt das persönliche Vertrauen in die handelnden Personen eine zwar nicht quantifizierbare, aber doch nicht zu unterschätzende Rolle.

Krisennavigator: Stichwort "Quantifizierung". Wie kann das Management Banken und anderen Gläubigern gegenüber den Erfolg des eingeschlagenen Sanierungskurses nachvollziehbar belegen?

Dr. Emmrich: Unverzichtbarer Bestandteil eines Erfolg versprechenden Rettungskonzepts ist ein systematisches Sanierungscontrolling. Im Rahmen einer so genannten Aktivplanung werden alle Sanierungsmaßnahmen in die GuV-, Bilanz- und Liquiditätsplanung integriert. Hierdurch wird das Sanierungskonzept controllingfähig. Die Aufbereitung der Daten kann auf zweierlei Weise erfolgen: Entweder wird das betriebswirtschaftliche Steuerungssystem des Unternehmens an die neuen Anforderungen angepasst oder es wird auf ein externes System - beispielsweise das eines Beraters - zurückgegriffen. In beiden Fällen müssen die Mitarbeiter des Unternehmens in die Verantwortung miteinbezogen werden, damit sie das nötige Gefühl für "System und Zahlen" gewinnen. Die Hoheit über das Sanierungscontrolling sollte möglichst in den Händen eines Sanierungsexperten, beispielsweise eines extern eingesetzten Zeitmanagers, liegen. Anzustreben sind außerdem regelmäßige Berichte in wöchentlichen, monatlichen, quartalsweisen und jährlichen Zeitintervallen - oder bei Bedarf auch ad hoc. Diese werden Banken, Gläubigern und anderen an der Sanierung Beteiligten zur zeitnahen und kontinuierlichen Information vorgelegt. Nach einer erfolgreichen Sanierung gilt es, das interne und externe Berichtswesen auf Basis der Erfahrungen des Sanierungscontrollings umzustellen - schließlich ist ein gutes Berichtswesen die beste Vorsorge, um zukünftige Fehlentwicklungen schnell zu erkennen. Meist ändert sich dabei der Fokus der Betrachtung weg von der reinen Kostenorientierung unter Liquiditätsgesichtspunkten und hin zur Erlösbetrachtung unter Ergebnisgesichtspunkten.

Krisennavigator: Auch die intensivsten Sanierungsbemühungen müssen irgendwann ein Ende finden. Wann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem das Unternehmen wieder zum Routinegeschäft übergehen kann?

Dr. Emmrich: Die Wahrnehmung, wann das Not leidende Unternehmen "über den Berg" ist, variiert je nach Perspektive: Aus Sicht der Banken ist die Sanierung dann erfolgreich, wenn das Engagement nach Wiedererlangung der Kapitaldienstfähigkeit und Erfüllung der an Basel II orientierten Ratingkriterien an den Firmenkundenbereich zurückgegeben werden kann. Gleichwohl wird auch bei einer weiteren Finanzierung das Finanzierungsvolumen in der Regel deutlich reduziert. Aus Sicht der Unternehmen sind eine gesunde Bilanzrelation sowie benchmarkfähige Cashflow- und Performancewerte ein klarer Indikator für einen Sanierungserfolg. Ob die Sanierung tatsächlich erfolgreich war, entscheidet letztendlich natürlich der Markt: Nur wenn das Unternehmen durch flexiblere Strukturen zukünftig schneller auf Kundenwünsche reagieren kann und neben einer höheren Profitabilität auch klar erkennbare Vorteile gegenüber seinen Wettbewerbern aufweist, ist der Turnaround nachhaltig gelungen.

Krisennavigator: Vielen Dank für dieses Gespräch

Ansprechpartner

Dr. Volkhard Emmrich
- Geschäftsführer -
Dr. Wieselhuber & Partner GmbH
Unternehmensberatung
Königinstrasse 33
D-80539 München
Telefon: +49 (0)89 2 86 23 - 0
Telefax: +49 (0)89 2 86 23 - 260
Internet: www.wieselhuber.de
E-Mail: emmrich@wieselhuber.de

 

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
7. Jahrgang (2004), Ausgabe 10 (Oktober)

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Letzte Aktualisierung: Dienstag, 10. Dezember 2024

       

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