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von Kirsten Schwinn
Im Herbst 1993 geriet die Metallgesellschaft AG in eine schwere Unternehmenskrise. Riskante Öltermingeschäfte brachten das Traditionsunternehmen aus Frankfurt am Main an den Rand des Ruins. Mittlerweile hat der Konzern wieder ruhiges Fahrwasser erreicht und steuert konsequent auf Erfolgskurs. Kirsten Schwinn blickt zurück auf die Liquiditätskrise der Metallgesellschaft im Winter 1993/94 und portraitiert den Vorstandsvorsitzenden und Krisenmanager Dr. Karl Josef ("Kajo") Neukirchen.
Die Metallgesellschaft ist ein Konzern, der sich heute weltoffen präsentiert. Das Unternehmen wurde 1881 von Wilhelm Merton gegründet und bis zum Ersten Weltkrieg zu einem Konzern mit den Schwerpunkten Bergbau und Rohstoffhandel ausgebaut. Heute ist die Metallgesellschaft eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt am Main. Sie aggiert als international tätiger Konzern mit rund 26.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 21 Milliarden Mark (jeweils 1998). Dieses Unternehmen geriet im Herbst 1993 in eine existenzbedrohende Unternehmenskrise, die jedoch erfolgreich bewältigt werden konnte. Der Krisenverlauf wird im folgenden dargestellt.
Das Unternehmen ist Ende 1993 mit 746 Firmen in zwölf Geschäftsfeldern tätig. Hauptaktionäre sind die Deutsche Bank und die Dresdner Bank. Der Deutsche Bank-Manager Ronaldo Schmitz ist seit März 1993 Aufsichtsratsvorsitzender der Metallgesellschaft. Unter seinem Kontrahenten, dem Vorstandsvorsitzenden Heinz Schimmelbusch, soll die Metallgesellschaft zum größten Anbieter von Umwelttechnik in Deutschland ausgebaut werden, um die Rohstoffe von ihrer Entdeckung und Förderung über die Weiterverarbeitung bis hin zu ihrem Recycling begleiten zu können. Der Börsenwert des Unternehmens lag Mitte November 1993 bei 3,7 Milliarden Mark - eine Kennzahl, an der im folgenden die weitere Entwicklung der Metallgesellschaft im Krisenverlauf dokumentiert wird.
Obwohl der Jahresabschluß 1993 keine Verluste ausweist, werden erste Krisensignale erkennbar.
Die MGRM nimmt ihren Kunden - beispielsweise Großhändlern und Tankstellenketten - das Preisrisiko ab, indem sie ihnen langfristige Verträge für einen fixen Ölpreis mit garantierter Qualitätskonstanz anbietet. Durch diese für das Unternehmen sehr risikoreichen sogenannten "Firm-Fixed-Verträge" und "Firm-Flexible-Verträge" gerät die MGRM später in Zahlungsschwierigkeiten.
Zur Absicherung dieser langfristigen Verträge schloß die MGRM unter anderem börsennotierte, kurzfristige Terminkontrakte an der New Yorker Warenterminbörse (NYMEX) ab. Diese Absicherungsgeschäfte werden als "Hedge-Strategie" bezeichnet. Da bei der Glattstellung eines Termingeschäftes ein Gewinn oder Verlust entsteht - also durch die eine oder andere Vertragsseite die Kaufpreisdifferenz auszugleichen ist - verlangt die NYMEX bei Vertragsabschluß eine erste Sicherheitsleistung ("Initial Margin") in Höhe von 3 % des Vertragskaufpreises. Am Ende jedes Handelstages verrechnet die Börse die Gewinne und Verluste, so daß bei entstandenen Verlusten diese erste Marge mit der Verlusthöhe verrechnet wird. Übersteigen die Verluste 25 % oder mehr der "Initial Margin", muß der Vertragspartner einen Nachschuß ("Variation Margin") leisten. Diese Nachschußverpflichtung beläuft sich auf die volle Höhe des täglichen Verlustes.
Die New Yorker MGRM muß im Herbst 1993 für rund zwei Milliarden US-Dollar Rohöl auf den Terminmärkten zu Preisen zwischen 16 und 18 Dollar pro Barrel abnehmen, obwohl der Ölpreis überraschend auf unter 15 Dollar pro Barrel gefallen ist. Diese überaus ungewöhnliche Marktsituation wird von Branchenkennern als "Contango-Situation" bezeichnet. Ein derartig überteuertes Öl können die Kunden der Metallgesellschaft jedoch nicht abnehmen, ohne ihre eigene Existenz zu gefährden. Die Metallgesellschaft hingegen muß ihrer Nachschußverpflichtung gegenüber der New Yorker Warenterminbörse (NYMEX) nachkommen - und das täglich. Damit wird das Liquiditätsproblem der Metallgesellschaft akut. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen zur Krisenbewältigung wird eingeleitet:
Zu diesem Zeitpunkt belaufen sich die Konzernschulden auf rund 7,5 Milliarden Mark. Der Börsenwert hat sich im Laufe nur weniger Monate von 3,7 Milliarden Mark auf knapp 1,5 Milliarden Mark mehr als halbiert.
Im Rahmen der nun folgenden Sanierung erfährt das Unternehmen eine komplette Umstrukturierung und konzentriert sich auf seine vier Kernkompetenzen "Handel", "Anlagenbau", "Chemie" und "Bautechnik". Die "eigentliche" Metallgesellschaft wird zu einer Holding, die vier Tochtergesellschaften führt.
Metallgesellschaft AG |
Handel | Anlagenbau | Chemie | Bautechnik |
Metallgesellschaft Handel & Beteiligungen AG | Lurgi AG | Dynamit Nobel AG | MG Bautechnik GmbH |
mg trade services | mg engineering | mg industries | mg building systems |
Von den ehemals 746 Beteiligungen verbleiben 380. Diese berichten an die vier Teilkonzerne. Ein Risikomanagement sichert fortan die wertorientierte Steuerung und permanente Kontrolle der Unternehmenstätigkeit.
Zur endgültigen Bewältigung der Krise startet die Metallgesellschaft eine Kommunikationskampagne. Ein 22seitiger Sonderdruck informiert detailliert über den Krisenverlauf. Desweiteren soll das Streben nach stetigem Unternehmenserfolg durch ein modernes und professionelles Erscheinungsbild kommuniziert werden. Mit einem neuen Logo möchte die Metallgesellschaft diesen Neuanfang auch nach außen demonstrieren.
Logo-Logik "Der neue Auftritt ist keineswegs die moderne Verpackung eines altbackenen Inhalts: Die mg hat sich bezüglich Strategie, Struktur und Standort grundlegend verändert und dokumentiert dies nun auch nach außen. Der Rahmen des früheren Rohstoffhauses wurde ebenso gesprengt wie der Rahmen des alten Firmensymbols." Dr. Karl Josef Neukirchen |
Der Börsenwert des Unternehmens liegt im August 1998 bei 5,1 Milliarden Mark und hat damit sein Vor-Krisen-Niveau deutlich überschritten. Die erfolgreiche Sanierung der Metallgesellschaft dokumentiert sich auch in weiteren Kennzahlen des Konzerns:
Geschäftsjahr | 1993 / 94 | 1994 / 95 | 1995 / 96 | 1996 / 97 | 1997 / 98 |
Ertragslage | |||||
Umsatz | 20.493 | 17.643 | 15.825 | 18.167 | 21.371 |
Ergebnis vor Ertragssteuern | - 2.538 | 171 | 292 | 329 | 381 |
Jahresüberschuß / Jahresfehlbetrag | - 2.627 | 118 | 220 | 236 | 303 |
Vermögenslage | |||||
Bilanzsumme am 30.09. | 11.356 | 8.879 | 7.805 | 6.771 | 6.926 |
Konzern-Eigenkapital am 30.09. | - 267 | 210 | 538 | 740 | 1.006 |
Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten | 3.175 | 1.493 | 820 | 319 | 259 |
Nettoposition | - 1.111 | - 653 | - 466 | 401 | 830 |
Finanzlage | |||||
Cash Flow DVFA / SG | - 2.661 | 531 | 552 | 496 | 637 |
Working Capital | - 1.748 | - 108 | 206 | 842 | 594 |
In der Rückschau werden insbesondere drei Krisenursachen offenkundig:
Auch der Sonderprüfungsbericht stellt gravierende Pflichtverletzungen des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Schimmelbusch und des Finanzchefs Forster fest. Ihnen wird damit die maßgebliche Verantwortung für die Krise der Metallgesellschaft angelastet.
"Wissen Sie, wie ein Diamant entsteht? Druck, Druck, Druck! Und ein Brillant? Schleifen, Schleifen, Schleifen!" Dr. Karl Josef Neukirchen |
Die erfolgreiche Sanierung der Metallgesellschaft wird größtenteils dem Vorstandsvorsitzenden und Krisenmanager Dr. Karl Josef Neukirchen zugeschrieben. Neukirchen studierte nach einer kaufmännischen Lehre Volkswirtschaftslehre und Physik an der Universität Bonn. 1973 promovierte der Diplom-Volkswirt in der Betriebswirtschafts-lehre zum Dr. rer. pol. Neukirchen sammelte Wirtschafts- und Sanierungserfahrung unter anderem als Geschäftsführer der SKF Kugellagerfabriken GmbH sowie als Vorstandsvorsitzender der KHD AG und der Hoesch AG. Im Dezember 1993 wurde er zum Vorstandsvorsitzenden der Metallgesellschaft bestellt. Sein Vertrag ist inzwischen für weitere fünf Jahre verlängert worden, so daß sich der Sanierer und Krisenmanager heute als Unternehmer beweisen kann. Auf die Sanierung der Metallgesellschaft zurückblickend betont er:
"Aus dem Rohstoff- und Bergbaukonzern ist ein innovativer
Handels-, Dienstleistungs- und Technologiekonzern geworden."
Kirsten Schwinn
ehemalige Studentin in den Studiengängen "Diplom-Handelslehrer"
und "Betriebswirtschaftslehre" an der
Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
E-Mail: mail@kirstenschwinn.de
Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
2. Jahrgang (1999), Ausgabe 5 (Mai)
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Letzte Aktualisierung: Mittwoch, 9. Oktober 2024
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