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von Dr. Volkhard Emmrich
Eine operative Krise entsteht primär durch Managementfehler in den Bereichen Finanzierung und Liquidität oder infolge von operativen Problemen - beispielsweise weil ein Großkunde abspringt, die Einführung eines Neuproduktes nicht planmäßig läuft, die Kostenentwicklung unzureichend gesteuert wird oder das Effizienzniveau kontinuierlich sinkt. Unabhängig von den Krisensymptomen sind jedoch bei einer operativen Krise die Marktposition, die Alleinstellungsmerkmale gegenüber dem Wettbewerb und der Kundennutzen intakt.
Bei einer strategischen Krise stimmen hingegen Marktleistung und Marktposition des Unternehmens nicht mehr: Es fehlen ausreichende Alleinstellungsmerkmale und insbesondere der Kundennutzen ist nicht mehr in ausreichendem Umfang gegeben. Der Kunde kauft nur noch aus Gewohnheit und drückt kontinuierlich den Preis. Ein anderes Mal ist der Kundennutzen zwar gegeben. Das Unternehmen erreicht aber den Kunden nicht oder nicht in ausreichendem Umfang, denn die Vertriebskraft und der Marktzugang sind zu gering.
Abbildung 1: Bestimmungsfaktoren operativer und strategischer Unternehmenskrisen
In der Unternehmenspraxis lassen sich strategische Krisen häufig daran erkennen, dass gleichzeitig Preis- und Mengendruck herrschen. Dieses ist meistens im Kerngeschäftsfeld der Fall - also gerade nicht in unbedeutenden Randgeschäftsfeldern. Auf die Frage an den Vertrieb, warum der Kunde ausgerechnet das eigene Produkt und nicht das des Wettbewerbs kaufen soll, herrscht meistens Sprachlosigkeit. Das Unternehmen "schwimmt" im Markt mit. Durch diese "me-too-Positionierung" steigt die Austauschbarkeit. Kundendeckungs- und Produktdeckungsbeitrag sinken.
Ein weiteres Anzeichen sind ausufernde Sortimente und Neuprodukte mit fehlender Innovationshöhe. Diese verursachen primär Komplexitätskosten, stiften jedoch keinen echten Kundennutzen. Besonders schwerwiegend ist eine strategische Krise immer dann, wenn nicht nur das Leistungsprofil nicht mehr den Marktanforderungen entspricht, sondern sich auch das Geschäftsmodell insgesamt überlebt hat. Mit Bordmitteln oder operativen Instrumenten - wie Kostensenkung und Vertriebsintensivierung - lassen sich strategische Krisen nur selten bewältigen. Insbesondere ist eine Beseitigung des unzureichenden Marktzugangs und der Vertriebsschwäche meist nur über Allianzen und Kooperationen möglich.
Bei der Bewältigung von Unternehmenskrisen wird in der "Phase 1" (Liquiditätssicherung) für gewöhnlich die Basis dafür geschaffen, dass das Überleben des Unternehmens kurzfristig gesichert und in der nachfolgenden "Phase 2" (Restrukturierung) Kosten gesenkt, Sortimente und Kundenstrukturen angepasst und Umsatzreserven erschlossen werden können. Eingriffe in das Geschäftsmodell - beispielsweise in die grundsätzliche Konfiguration und Strategie des Unternehmens - erfolgen meistens nur sehr begrenzt.
Selbst bei einer Restrukturierung in bestehenden Strukturen kann häufig recht schnell ein sichtbarer Sanierungserfolg erzielt werden. Der "Patient" wird als geheilt entlassen, obwohl aufgrund der weiter schwelenden Strategiekrise die Probleme noch nicht beseitigt sind. Bei der nächsten konjunkturellen Delle bzw. beim nächsten operativen Managementfehler ist die akute Krise wieder da. "Saniert, aber zu schwach zum langfristigen Überleben" heißt deshalb häufig der Befund, der aus der Historie von Insolvenzfällen analysiert werden kann.
Beim Rückfall in die erneute Krise ist das Unternehmen deutlich geschwächt. Aufgrund der bestehenden strategischen Defizite konnte in der Zwischenzeit auch nicht ausreichend neue Substanz angesammelt werden. Die wesentlichen internen Reserven wurden für die Bewältigung der ersten Krise aufgebraucht. Übrig bleiben eine vergleichsweise geringe Eigenkapitalquote, kaum noch stille Reserven in der Bilanz, wenig Möglichkeiten zur Liquiditätsschöpfung aus dem "Working Capital" und bereits restlos realisierte Finanzierungsoptionen - beispielsweise durch "Sale and lease back" oder "Factoring".
Voraussetzung für die Bewältigung einer strategischen Krise ist eine fundierte Auseinandersetzung mit den Erfolgsfaktoren der jeweiligen Märkte des Unternehmens. In einem ersten Schritt muss eine Segmentierung der Märkte einerseits nach den Anwendungs- und Einsatzbereichen der Produkte und andererseits nach den Stufen des Wertschöpfungsprozesses im Unternehmen vorgenommen werden. In einem zweiten Schritt erfolgt die Einteilung ("Clusterung") der Geschäftstätigkeiten in strategische Geschäftseinheiten - also Einheiten homogener Markt- und Geschäftsmechanik.
In einem dritten Schritt werden für die einzelnen strategischen Geschäftseinheiten die Erfolgsfaktoren des Marktes abgeleitet und Strategieprofile entwickelt. Hierdurch wird transparent, welche Parameter und Kompetenzen erfolgsentscheidend sind und welche Mindestfähigkeiten vorhanden sein müssen, um in dem jeweiligen Marktsegment eine tragfähige Position zu erzielen. Konkret erfolgt diese Analyse anhand der drei Bausteine "Attraktivität und Mechanik der Marktsegmente", "Geschäftsmodell des Unternehmens" und "künftige Geschäftsrisiken".
Abbildung 2: Chancen–Risiken–Abwägung von strategischen Geschäftskonzepten bzw. alternativen Sanierungsstrategien
Durch die integrierte Betrachtung dieser drei Bereiche und den Vergleich der Ergebnisse mit der Ausgangssituation wird schnell klar, was das Unternehmen alleine ("stand alone") erreichen kann bzw. wo eine strategische Lücke vorliegt und vom Unternehmen folglich nur durch Kooperationen und Allianzen eine zielführende Position erreicht werden kann bzw. wo das Unternehmen oder die betrachtete Einheit keine echten, langfristigen Überlebenschancen mehr hat.
Zur Bewältigung der strategischen Krise werden die eigenen Ressourcen des Unternehmens auf diejenigen Bereiche fokussiert, in denen mit eigener Kraft der größte strategische Nutzen erzielt werden kann. Unternehmenseinheiten, deren strategische Weiterentwicklung selbst mit Partnern nur bei hohen Risiken möglich ist, können abverkauft oder liquidiert werden. Für Bereiche mit Stärken, jedoch nachhaltigen Lücken im Strategieprofil, kann gezielt nach industriellen oder strategischen Partnern gesucht werden.
Im Ergebnis wurden damit Geschäfte und Unternehmensstrukturen unter Strategiegesichtspunkten rekonfiguriert. Wertetreiber des Unternehmens konnten mobilisiert und bestmöglich zur Krisenbewältigung eingesetzt werden. Gleichzeitig wurden Kostentreiber transparent und durch die Restrukturierungsmaßnahmen auf ein tragbares Maß reduziert.
In der Unternehmenspraxis zeigt sich, dass wirkliche Sanierungserfolge ein dreistufiges Sanierungsmanagement erfordern.
Die Ergebnisse einer Rekonfiguration und strategischen Neuausrichtung können vielfältig sein: Denkbar ist beispielsweise die Umwandlung des Unternehmens in eine Beteiligungsgesellschaft mit darunter liegenden operativen Einheiten - getrennt nach Marktsegmenten oder aber auch nach Produktions- und Vertriebsgesellschaften. Ebenso kann die Frage der Vertriebswege berücksichtigt werden - beispielsweise in Form von Vertriebsgesellschaften für einzelne Vertriebswege oder Marken.
Der Einstieg von strategischen Partnern und Finanzinvestoren ist auf der Ebene einzelner operativer Gesellschaften als Mehrheitsbeteiligung oder auf der Ebene der Holding als Minderheitsbeteiligung möglich. Auch der Abverkauf einzelner Einheiten zur Beseitigung von Verlustquellen oder zur Generierung entsprechender außerordentlicher Erträge ist in einer derartigen Struktur gut darstellbar.
Insgesamt zeigt die Unternehmenspraxis, dass Strategiedefizite nicht nur eine sehr häufige Krisenursache sind, sondern in aller Regel auch zu massiven und schwer zu bewältigenden Unternehmenskrisen führen. Die Beseitigung allein der operativen Krisensymptome reicht nicht aus. Ohne eine grundlegende Bewältigung der Strategiekrise und Mobilisierung der Wertetreiber kann die Zukunft von Krisenunternehmen nicht gesichert werden.
Die Restrukturierung von Unternehmen innerhalb der bestehenden Geschäftsstruktur ohne Anpassungen im Geschäftsmodell greift meistens zu kurz. Wesentlich größere Erfolgsaussichten hat die Rekonfiguration der Geschäfte und Nutzung möglicher strategischer Allianzen oder Kooperationen. Eine solche Vorgehensweise ist folglich die Kür einer erfolgreichen Krisenbewältigung. Sie sichert einerseits eine hohe Attraktivität des Unternehmens für mögliche Investoren und ermöglicht andererseits eine schnellstmögliche Beseitigung der Kapitalprobleme.
Abbildung 3: Alternative Sanierungsstrategien
Dr. Volkhard Emmrich |
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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
7. Jahrgang (2004), Ausgabe 2 (Februar)
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Letzte Aktualisierung: Montag, 9. September 2024
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