Restrukturierung der Informationstechnik
in Krisenunternehmen
von Arnd Baur
Überblick
Die Informationstechnik (IT) hat in vielen Unternehmen die Funktion eines Nervensystems. Werden in Not leidenden Unternehmen im Rahmen von Restrukturierungsmaßnahmen unbedachte Kürzungen im IT-Bereich nach der "Rasenmähermethode" vorgenommen, so kann dieses zu massiven Beeinträchtigungen des operativen Geschäfts führen und die Schieflage des Betriebes noch verschärfen.
Maßgeblich für einen nachhaltigen Sanierungserfolg ist daher die gezielte Kombination von kurzfristigen und mittelfristigen Restrukturierungsmaßnahmen in der IT. Einerseits sollte ermittelt werden, wie die IT kurzfristig zur Entspannung der Liquiditätssituation des Unternehmens beitragen kann. Andererseits gilt es festzustellen, inwieweit die IT eine nachhaltige Sanierung und strategische Neuausrichtung des Unternehmens aktiv unterstützen kann.
Ineffiziente IT-Strukturen als krisenverschärfende Faktoren
Im Rahmen der Krisenbewältigung müssen in Unternehmen vielfältige operative Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz in den Unternehmensbereichen ergriffen werden. In vielen Krisenunternehmen tragen allerdings ineffiziente IT-Strukturen nicht selten eine Mitschuld an der prekären Lage des Unternehmens - sind also Teil des Problems. Typische Symptome in Krisenunternehmen können beispielsweise sein:
- Blindflug: Fehlende Steuerungsinformationen für die Unternehmensleitung führen dazu, dass Controlling-Basics - wie die Bestands- und Liquiditätsentwicklung oder Plan-Ist-Vergleiche - nicht vorhanden oder nur mühsam und mit unakzeptablem zeitlichen Verzug aus den bestehenden Systemen zu gewinnen sind.
- Inseln: Schlecht unterstützte Wertschöpfungsprozesse durch nicht vorhandene oder mangelhaft integrierte Systeme ziehen lange Durchlaufzeiten und hohe Prozesskosten nach sich.
- Mauern: Durch unzureichende Werkzeuge für die Pflege der Kundenbeziehungen können Vertriebsaktivitäten nur schlecht gesteuert werden. In der Folge gehen die berühmten "roten Lampen" erst an, wenn Kunden sich abwenden oder Umsätze einbrechen.
- Ruinen: Nicht beendete oder betriebswirtschaftlich fragwürdige IT-Projekte binden umfangreiche interne Personalressourcen oder ziehen hohe externe IT-Beratungskosten nach sich.
- Knebel: Dauerschuldverhältnisse mit IT-Lieferanten führen zu massiven Abhängigkeiten, hohen Kosten und drastisch eingeschränkter Flexibilität.
In den seltensten Fällen sind die IT-Bereiche in Krisenunternehmen durch "schlechte" Technik gekennzeichnet - also durch unzureichende Netzwerke, fehlerhafte Hardware oder veraltete Software. Problematisch ist meistens der organisatorische Rahmen. Häufig zu beobachten sind eine schwache Mitarbeitermotivation im IT-Bereich, fehlende IT-Richtlinien - beispielsweise zur Projektbewilligung, Investitionsplanung und zum IT-Controlling, häufige Kritik der Mitarbeiter aus anderen Fachbereichen an der Qualität der IT-Leistungserbringung sowie pauschaler, undifferenzierter Druck seitens der Unternehmensleitung oder von Banken, Kosten zu senken.
Kurzfristige IT-Restrukturierungsmaßnahmen
In der kurzen Frist muss die IT vorrangig einen Beitrag zur raschen Entspannung der Liquiditätssituation des angeschlagenen Unternehmens leisten. Wenngleich bei Forderungen nach einer pauschalen Kürzung von IT-Ausgaben und Investitionsbudgets Vorsicht angebracht ist, bestehen dennoch beträchtliche Kostensenkungspotentiale in der IT. Diese sollten möglichst bereits in den ersten drei Monaten einer Restrukturierung genutzt werden:
- Sofern nicht vorhanden, ist zunächst Kostentransparenz notwendig. Nur die genaue Kenntnis darüber, wie viel Geld für was warum ausgegeben wird, erlaubt eine Identifikation von kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen in der IT.
- Im Rahmen einer Aufgabenanalyse mit allen IT-Mitarbeitern sollten dann folgende Fragen geklärt werden: Entsprechen die vorhandenen IT-Ressourcen dem tatsächlichen Bedarf oder liegt eine "Überversorgung" vor? Sind im IT-Bereich Aufgaben angesiedelt, die besser den Fachbereichen zugeordnet werden sollten? Können durch Reorganisationsmaßnahmen Mitarbeiterkapazitäten im IT-Bereich abgebaut werden?
- Bei den tatsächlich notwendigen IT-Funktionen gilt es, konsequent die Möglichkeiten einer Auslagerung zu prüfen ("Make or Buy"-Entscheidung). Einerseits stehen für zahlreiche IT-Services Outsourcing-Anbieter bereit, die definierte Aufgaben übernehmen können. Vorab sollten allerdings die tatsächlich anfallenden Vollkosten einer solchen Ausgliederung ermittelt werden. Andererseits ist ein pauschales Outsourcing kein Königsweg aus der Krise. Zum einen treten eventuelle Kostenvorteile regelmäßig erst mit zeitlicher Verzögerung ein. Zum anderen kann eine undifferenzierte IT-Fremdvergabe die operativen und strategischen Möglichkeiten des Unternehmens später beträchtlich einschränken.
- Der Informationsbedarf der Unternehmensleitung muss schnellstens analysiert werden. Tagesaktuell sollten der Geschäftsführung zumindest Informationen über Bestände, Kosten und Umsätze, Forderungen und Verbindlichkeiten bereitstehen. Teilweise gilt es, pragmatische Sofortlösungen und "Stand-alone-Tools" - wie beispielsweise einfache Excel-Tabellen - zu realisieren. Diese Führungsinformationen dienen nicht zuletzt auch zur Darstellung des Sanierungsfortschritts gegenüber den Gläubigern und Investoren.
- Mit betriebswirtschaftlichem Augenmaß und technischer Expertise sollte das Investitionsbudget im IT-Bereich für das laufende Jahr Posten für Posten hinterfragt werden. Sind Investitionen nicht unbedingt für den Erhalt der Funktionsfähigkeit der IT-Infrastruktur notwendig, ist eine Verschiebung zu erwägen. Bei notwendigen Anschaffungen über EUR 10.000 sollten Leasing-Möglichkeiten zur Schonung der betrieblichen Liquidität untersucht werden.
Insgesamt kann IT-Verantwortlichen im Restrukturierungsprozess nur geraten werden, vor externen Anspruchsgruppen - wie Banken, Investoren und Sanierungsberatern - offensiv zu präsentieren. Eckpunkte einer solcher Präsentation sind einerseits die Identifikation und Kommunikation von Kostensenkungspotentialen in der IT und andererseits die Bereitstellung von wertvollen IT-Dienstleistungen und Daten zur Unternehmenssteuerung und Wertschöpfung. Aus dieser Perspektive heraus wundert es nicht, dass auch im Rahmen von Due Dilligence-Untersuchungen seit geraumer Zeit vermehrt auf die Leistungsfähigkeit der IT-Infrastruktur und des IT-Managements geachtet wird.
Mittelfristige IT-Restrukturierungsmaßnahmen
Nachdem der IT-Bereich seine Beiträge zur Ad-hoc-Kostensenkung und kurzfristigen Informationsbereitstellung geleistet hat, muss die IT in der mittleren Frist auch entscheidend zur nachhaltigen Sanierung des Unternehmens beitragen. Hierbei gilt es inbesondere zu verhindern, dass nach kurzer Zeit die altbekannten IT-Probleme erneut auftauchen. In der Unternehmenspraxis haben sich die nachfolgenden vier Maßnahmenpakete bewährt:
- Bereinigung des IT-Projektportfolios:
Nur in wenigen Unternehmen wird ein zentrales IT-Projektportfolio geführt. Vielmehr ist in zahlreichen Unternehmen ein "buntes Durcheinander" von unkoordinierter, ressourcenverschwendender Parallelarbeit die Regel. Sicherlich ist die notwendige Konsolidierung - angesichts von "politischen Diskussionen" und "bereichsspezifischen Bedenken" - keine leichte Aufgabe. Der Rückenwind der akuten Krisensituation sollte daher genutzt werden, um in Zusammenarbeit mit den Fachbereichen alle laufenden Projekte betriebswirtschaftlich zu überprüfen. Kosten und Nutzen der Projekte sind gegenüberzustellen und deren operative bzw. strategische Bedeutung für das Gesamtunternehmen zu verifizieren. Projekte, die einer solchen Überprüfung nicht standhalten, sollten konsequent eingestellt werden. Frei werdende Ressourcen können zur Unterstützung der Krisenbewältigung an anderer Stelle meist wertschöpfender verwendet werden.
- Überprüfung des Lieferantenportfolios:
Für externe Vertragspartner - wie Hardwarelieferanten, Softwarehersteller, Telekommunikationsdienstleister und IT-Berater - sollte ein konsequentes Vertragsaudit durchgeführt werden. Die bestehenden Kontrakte sind dabei auf ihre Angemessenheit mit der betrieblichen Situation zu überprüfen. Mittelfristig lassen sich hierdurch beträchtliche Kostensenkungspotentiale heben. Einige Beispiele aus der Unternehmenspraxis:
- Langfristige Software-Wartungsverträge umfassen nicht selten regelmäßige Zahlungen für Programmmodule, die nie implementiert wurden. Ebenso werden deutliche Abweichungen zwischen der Zahl gekaufter Lizenzen und der Zahl tatsächlicher Anwender häufig überhaupt nicht erfasst.
- Die angeschaffte Hardware ist stark überdimensioniert oder unnötig redundant vorhanden. Entsprechend werden völlig überhöhte Leasingzahlungen geleistet.
- Telekommunikationstarife werden nicht regelmäßig verglichen. Allein durch den Wechsel auf einen anderen Anbieter können im Telefoniebereich ohne großen Umstellungsaufwand zuweilen Einsparungen von bis zu 25 Prozent realisiert werden.
- Externe IT-Experten haben sich im Laufe der Zeit als "Quasi-interne" im Unternehmen etabliert. Deren ursprüngliche Aufgaben sind zwischenzeitlich eigentlich erledigt und könnten weitaus günstiger von internen Mitarbeitern übernommen werden.
- Verankerung von Dienstleistungsmentalität und Kostenbewusstsein im IT-Bereich:
Altbekannte "Rechenzentrums-Denkweisen" im IT-Bereich behindern häufig eine grundlegende Veränderung der aktuellen Unternehmenssituation. Sowohl innerhalb des IT-Bereichs als auch in der Zusammenarbeit mit den Fachbereichen ist daher zunächst die Schaffung von klaren Regeln und Prozessen notwendig. Wie werden IT-Anforderungen aufgestellt und wer entscheidet über deren weitere Behandlung? Wie wird ein kundenfreundlicher IT-Support gewährleistet und welche Regeln gelten für die Durchführung von Projekten? Hierzu müssen klare Kunden-Lieferanten-Strukturen innerhalb des Unternehmens geschaffen werden. Dezentrale IT-Koordinatoren in den einzelnen Fachabteilungen fungieren als Ansprechpartner der IT-Leitung. Sie sammeln und filtern die IT-Anforderungen ihrer Bereiche und spielen auch bei der späteren Umsetzung der optimierten Geschäftsprozesse eine wesentliche Rolle. Flankiert werden sollten diese Maßnahmen durch das Aufstellen von "Service Level Agreements" und die Einführung von internen Verrechnungspreisen für IT-Dienstleistungen.
- Anpassung der IT-Strategie an die veränderte Unternehmenssituation:
Die infolge der Krise veränderte Ausrichtung der Geschäftsstrategie des Unternehmens hat ihrerseits Auswirkungen auf die IT-Strategie. Im Mittelpunkt stehen dabei strategische Anwendungssysteme, die implementiert oder optimiert werden müssen. Typische Fragestellungen lauten beispielsweise:
- Fehlen in einzelnen Bereichen möglicherweise Anwendungsprogramme, die bei der Verbesserung der Unternehmenssituation hilfreich sein könnten (z.B. zur Optimierung der Außendiensttätigkeit oder Reduktion der Auftragsbearbeitungszeit)?
- In welchen Abteilungen muss infolge einer Verlagerung von Geschäftsaktivitäten mit verstärkter IT-Unterstützung nachgezogen werden?
- Sind bei einem geplanten Ausbau des Auslandsgeschäfts die Tochtergesellschaften effizient genug angebunden und die IT-Anwendungen auch in den entsprechenden Sprachen verfügbar?
- Zur zielgerichteten Realisierung dieser Maßnahmen ist eine enge Zusammenarbeit von IT-Leitung und Geschäftsleitung unumgänglich. Gleichzeitig sollte versucht werden, die IT-Infrastruktur auf Systemebene zu harmonisieren und die im Laufe der Jahre gewachsene Vielfalt weiter zu reduzieren. Ansatzpunkte für die Konsolidierung sind insbesondere die Betriebssysteme, Datenbankplattformen und Serverstrukturen. Ist es beispielsweise immer nötig, drei unterschiedliche CAD-Systeme in der Konstruktionsabteilung zu verwenden? Müssen unbedingt vier unterschiedliche Management-Informations-Systeme in unterschiedlichen Fachbereichen im Einsatz sein?
Zusammenfassung
Insgesamt muss der IT-Bereich eines Not leidenden Unternehmens - neben kurzfristigen Aktivitäten zur Liquiditätsverbesserung - auch mittel- und langfristige Unterstützung bei der nachhaltigen Gesundung des Unternehmens leisten. Voraussetzung dafür ist eine grundlegende Änderung des Selbstverständnisses der IT und insbesondere die Entwicklung von einer reaktiven Einheit hin zu einem professionellen Dienstleister. Dieser muss seine technische und betriebswirtschaftliche Kompetenz aktiv in die strategische Neuausrichtung des Krisenunternehmens einbringen.
Derartige Veränderungen sind nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen. Oft müssen erst mühsam "IT-Altlasten" entsorgt werden. Erfahrungsgemäß fällt es allerdings unter dem Eindruck des Schocks, den eine Krisensituation oftmals bei den Mitarbeitern im Unternehmen hervorruft, wesentlich leichter, "alte Zöpfe" abzuschneiden. Die IT-Leitung muss mit viel Pragmatismus, fachlicher und persönlicher Neutralität, einem "breiten Rücken" und Umsetzungsstärke oft auch unangenehme Maßnahmen durchsetzen.
Analytische und konzeptionelle Fähigkeiten gepaart mit Einfühlungsvermögen und Moderationsfähigkeit helfen der IT-Leitung dabei, die Mitarbeiter im eigenen Bereich und in anderen Fachabteilungen von der Richtigkeit des eingeschlagenen Wegs zu überzeugen. Wegen der hohen Anforderungen, die Krisensituationen an die IT-Leitung stellen, ist zuweilen die temporäre Unterstützung durch entsprechend spezialisierte externe Dienstleister hilfreich.